Patch work in Blech

Die Geburt eines neuen Autos bedeutet lange Konstruktionsprozesse, Entwicklungsphasen und Erprobungen.
Normalerweise. Nicht so beim Treser Liner.

Walter Treser hatte eine Idee und er suchte einen Kunden, der sie kaufen würde. Er fand Fritz Haberl, Chef der MAHAG, Süddeutschlands größtem Audi- und VW-Händler und Präsident des Zentralverbandes des Kraftfahrzeuggewerbes. Einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CSU.
Beiden gefiel der damalige Audi Avant wenig: Sein sehr schräg abfallendes Heck war der Versuch, einen Kombi wie ein Coupé wirken zu lassen. Was dabei herauskam war nicht Fisch noch Fleisch: weder ein Kombi noch ein Coupé. Aber die Audi Oberen taten – wenigstens offiziell – so als liebten sie den Avant.

Treser hingegen machte sich daran, seine Konzeption von einem stattlichen Großraum-Kombi zu verwirklichen. Er wollte ein Auto, das Platz für alle Verwendungsmöglichkeiten und Großzügigkeit als Luxus anbot. Es sollte kein üblicher Handwerker-Kombi sein und doch die Flexibilität eines Lastenesels mit den Bequemlichkeiten und dem Komfort einer echten Limousine verbinden. Es sollte (wieder einmal) ein Auto werden, das es bis dahin nicht gab. Walter Treser diskutiert das Konzept mit seinen Designern, Karosseriebauern, Sattlern und Technikern so lange, bis ihn die Skizzen und Zeichnungen befriedigen. Was dabei herauskam, war der Urahn der heutigen Lifestyle-Kombis. So fuhr er nach München zur MAHAG, um sich von Fritz Haberl persönlich den Auftrag für den Bau des ersten Liner zu holen.

Und das funktionierte so: Man nimmt als Ausgangsbasis einen Audi 100 Avant, entfernt das Dach etwa ab Mitte der hinteren Türen einschließlich der C-Säulen bis zur Gürtellinie. Dann schneidet man von einer Audi 100/200 Limousine den gleichen Bereich vom Dach mit C-Säulen ab und setzt es um ca. 50 cm nach hinten versetzt auf dem geköpften Avant wieder auf. Dadurch ergeben sich völlig andere Fahrzeugproportionen. Das Auto wirkt wesentlich großzügiger, bietet deutlich mehr Innenraum und wirkt harmonisch und elegant. Die Kunst besteht jetzt darin, eine neue Heckklappe zu kreieren, ohne dafür komplizierte Neuteile oder gar Formbleche zu benötigen, für die man erst teure Formen hätte bauen müssen. Also nimmt man die Heckscheibe der Limousine und setzt sie auf einen Rahmen, der das Gerüst für die neue Heckklappe bildet. Daran schweißt man das vordere Drittel der Kofferklappe der Limousine, das ja perfekt mit der Limousinenheckscheibe harmoniert. Und nach unten komplettiert man die neue Heckklappe mit dem unteren Teil der Avantklappe. Ganz einfach. Oder?

Um dieses Kunstwerk aus abgeschnittenen und wieder zusammengeschweißten Blechteilen zu einem harmonischen und funktionsfähigen Ganzen zu fügen, braucht es Vision, Know how und Durchblick. Von allem hatten Walter Treser und seine Mitarbeiter genug. Es zählte schon immer zu den Prinzipien von Treser, immer nur die besten Mitarbeiter für seine Firma zu gewinnen. Aber es zählte auch zu seinen Gewohnheiten, diese Mitarbeiter bei ihren schwierigen Jobs sehr eng zu kontrollieren. So stand er oft tagelang in der Werkstatt und schaut der Arbeit und dem Arbeitsfortschritt zu. Egal, ob es um knifflige Blecharbeiten ging oder in der Polsterei darum, dem Meister Willms, den er einst von Volkswagen in Wolfsburg weg gelockt hatte, Anweisungen zu geben und deren Ausführung detailliert zu beobachten. Treser stand stets dabei und schaute zu – unterbrochen nur, wenn die Sekretärin aus dem Büro kam, um ihn ans Telefon zu rufen. Da Handys erst viel später in Mode kamen, kam das Gott-sei-Dank häufig vor, und die Mitarbeiter atmeten jedes Mal erleichtert auf, wenn der Chef weg war. Walter Brückl ist damals der Werkstattleiter im Karosseriebau und während dem Bau des Liner besonders gefordert. Zumal Fritz Haberl seinen hellblau metallic farbenen Liner unbedingt bis Weihnachten 1984 fertig haben wollte. Und das Team war natürlich in Verzug. So blieb der Mannschaft häufig nichts anderes übrig, als Tag und Nacht zu arbeiten. Und Treser schaute zu. Als nach der dritten Nachtschicht ohne Unterbrechung die Nerven blank lagen und Treser gut meinend aber naiv fragte, was er denn helfen könnte, sagt Walter Brückl höflich aber bestimmt: „Am besten putzen Sie jetzt mal draußen die Autos. Und wenn Sie damit fertig sind, dann fegen Sie die Werkstatt“.

Es ist nicht überliefert, ob Walter Treser damals wirklich alle Fahrzeuge im Hof putzte oder ob er nur in die Polsterei ging, um dem guten Herrn Willms beim Beziehen der Ledersitze zuzuschauen. Überliefert ist aber, dass Fritz Haberl der TreserAudi Liner sehr gut gefiel. Er bestellte ein zweites Fahrzeug, dieses Mal auf Basis des Audi 200 quattro, in silber und mit 250 PS Treser Spezialmotor und allem, was damals an Ausstattung machbar war.
Zumal der Liner selbstverständlich mit allen Treser Teilen ausgestattet war, die die Preisliste hergab: Das war es dann aber auch: Es wurden keine weiteren Liner gebaut. Der Preis von ziemlich genau 100.000,- Mark war für die Kunden zu viel – und für Treser angesichts des hohen Herstellungsaufwandes ganz einfach zu wenig, um sich um weitere Aufträge zu bemühen. Tiefer gelegtes Fahrwerk, Treser Turboräder mit Michelin TRX Reifen der Größe 230/45 VR 415, Treser Front- und Heckschürzen und natürlich den schwarzen Treser Rücklichtern, dem bekanntesten aller Treser Teile. Für den arabischen Raum fand Walter Treser bald ein anderes Angebot, das diesen Kundenkreis mehr ansprach: den TreserAudi Largo.